FemaleClassics

Fanny Hensel (1805–1847) trifft Charlotte Thygeson (1811–1872)

Auf dem Hügel Pincio in Rom liegt die Villa Medici. In ihren weiten Gärten leben Pfauen, die auf ihren Streifzügen durchs Grün die Ewige Stadt überblicken können und dabei auf Künstler*innen bei ihrer Arbeit treffen. Denn seit mehr als 200 Jahren ist die Villa Sitz einer Akademie, der Académie de France à Rome. 1840 spazierte hier auch die deutsche Komponistin und Pianistin Fanny Hensel unter römischen Pinien, lauschte plätschernden Brunnen, musizierte, sang und komponierte. Neben anderen weilte sie da zusammen mit Charlotte Thygeson, einer Pianistin aus Norwegen. Die beiden musizierten gemeinsam, von Thygeson wurde Hensel später aber auch mit frischem Broccoli versorgt.

Von der Begegnung der beiden wissen wir aus Hensels Briefen. Überhaupt geht das Wenige, was wir über Charlotte Thygeson wissen, aus den Erzählungen derjenigen hervor, die ihr begegneten. Aus ihren Erinnerungen ergibt sich das Bild einer vielseitigen Pianistin, die in Norwegen, Italien, Frankreich, Dänemark und in der Schweiz lebte; die konzertierte und unterrichtete; die aber auch politisch aktiv wurde, als sie 1846 den Bau des Grabmals der feministischen und sozialistischen Vordenkerin Flora Tristan (1803–1844) unterstützte.

Garten der Villa Medici, Ansicht heute
Fanny und Wilhelm Hensel. Reise-Album 1839-40. 21,5 x 28 cm, 1841, Staatsbibliothek Berlin, MA Ms. 163 (6), S. 27
Komposition von Fanny Hensel, Zeichnung von Wilhelm Hensel: Brunnen und Statue in der der Villa Medici

Charlotte Thygeson wurde 1811 geboren und zog nach mehreren Wohnorten in Dänemark und Norwegen in den 1830er Jahren nach Rom. Hier traf sie Fanny Hensel, die 1839–40 mit ihrem Mann Wilhelm und Sohn Sebastian in die Stadt kam. Mit auf der Reise: grosse Neugier auf Italien und die Musik, mit der sie in Deutschland aufgewachsen war. Diese spielte Hensel in Rom vor. Von einer gemeinsamen Aufführung mit Charlotte Thygeson, bei der die beiden mit einer weiteren Pianistin ein Bach-Konzert spielten, berichtete Hensel ihrer Familie:

«Während wir es gestern vortrugen, konnte ich mich der innerlichen Freude nicht erwehren, das in Rom zu spielen und unserm Alten vom Berge hier neue Freunde und Jünger zu erwerben. […] Platz war knapp, Hitze groß, aber der Abend sehr angenehm.» [i]

Eindruck machte Bachs Musik nicht zuletzt auf die Stipendiaten der französischen Akademie in der Villa Medici, die zusammen mit Thygeson zum römischen Freundeskreis der Hensels gehörten. Davon erzählt eine Zeichnung von Fanny Hensels Mann Wilhelm. Darauf sieht man links Charles Gounod (1818–1893), wie er einen Blick über die Schulter des Komponisten Georges Bousquet (1818–1854) wirft. In seiner Hand hält Bousquet ein Papier, das mit «Concert von Sebastian Bach» beschrieben ist.

Vor ihrem Abschied von Rom spielte Hensel ein letztes Mal an der Villa Medici. Der Direktor der Akademie hatte zu diesem Anlass eigens die Gärten sperren lassen und «nur die Hausgenossen und habitués» [ii], wie Hensel sie nennt, eingeladen. Eine aber fehlte Hensel unter den Zuhörer*innen:
«(Als) ich mein Bedauern bezeigte, daß Charlotte Thygeson nicht dabei wäre, wurde sie auch herbeigeholt, und blieb den Rest des Tages mit uns.» [iii] Auch den Abend verbrachte man im vertrauten Kreis. Und natürlich mit Musik. «(Es) war tiefe Dämmerung, und es kam eine wunderliche Stimmung über die ganze Gesellschaft, es war Alles still und feierlich, ich spielte [...] was in die Farbe paßte [...].» [iv] Sebastian Hensel gab dazu später seine Mutter mit den Worten wieder: «Ich präludirte lange Zeit gedämpft, ich wäre nicht im Stande gewesen, stark zu spielen [...]. [...] Charlotte, Bousquet und Gounod sassen dicht um mich her. Es war eine Stunde, die ich nicht vergessen werde.» [v]

Das gehört gehört.

Fanny Hensel Villa Medicis Allegro Maestoso in As-Dur (1840)
Aufnahme: Philip Mayers, Coviello Classics.

Hensel widmet ihrer Zeit an der Villa Medici ein bewegtes Klavierstück, das frei in Stimmung und Melodie wechselt. Es beginnt mit einem eingängigen, warmen Thema, das aber bald ins Nachdenkliche gewendet wird. Dann gerät das Stück in schnelle Bewegung. Girlanden laufen über die Klaviatur. Die Musik glitzert. Mit Hensels Briefen im Kopf erinnert das an die Brunnen der Villa Medici, von denen sie schrieb, «bei Springbrunnenrauschen zu musiciren» habe sie «nicht leicht vergnügt» [vi] – also sehr. In das musikalische Glitzern mischt sich schliesslich wieder das warme Anfangsthema. Zunächst diskret und in Fragmenten, dann aber tritt es freudig und – ganz der Bezeichnung «allegro maestoso» entsprechend – selbstbestimmt in den Vordergrund. Es wird von den glitzernden Wasser-Girlanden umspielt, bevor diese noch einmal zu einer letzten, grossen Kaskade ausbrechen, die nach oben und unten über die ganze Klaviatur spritzt. Danach steht das Thema wie am Anfang ganz für sich da und lässt das Stück ausklingen.

Mehr von Fanny Hensel in Italien
«Villa Medicis» ist Teil eines Albums voll Musik. Hensel hat es als Andenken an ihre Italienreise geschrieben, ihr Mann Wilhelm hat darin Zeichnungen angefertigt. In dem Album hört man neben der Villa Medici noch von anderen Orten, die die Komponistin in Italien kennenlernte, z.B. die Villa Mills. Und auch über das Ankommen und Aufbrechen hat Hensel Musik geschrieben: «Nach Süden» erinnert an ihre Anreise über die Alpen, wo sie schon bei früheren Aufenthalten in der Schweiz allein die Nähe Italiens «unendlich rührte» [vi]; «Ponte Molle» vertont ihren wehmütigen Abschied von Rom.

Torben Hanhart
Bei Fragen schreibt gerne an: torben@femaleclassics.com

Lektürehinweise

Das Italienalbum von Fanny und Wilhelm Hensel online:
https://digital.staatsbibliothek-berlin.de/werkansicht?PPN=PPN833525425&PHYSID=PHYS_0003

Zu den Italienreisen der Mendelssohns: Roland Schmidt-Hensel auf dem Blog der Staatsbibliothek Berlin.
https://blog.sbb.berlin/neu-im-stabi-kulturwerk-fanny-hensel-und-felix-mendelssohn-bartholdy-auf-italien-reise/

Fanny Hensel. Briefe aus Rom an ihre Familie in Berlin 1839/40. herausgegeben von Hans-Günter Klein (2002). Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert Verlag.
Darin [i] Brief an Lea Mendelssohn Bartholdy aus Rom vom 16. Mai 1840, S. 91 & [ii] [iii] [iv] [vi] Brief an Lea Mendelssohn Bartholdy aus Albano vom 3. Juni 1840, S. 108.

Hensel, Sebastian (1906). Die Familie Mendelssohn, 1729-1847, nach Briefen und Tagebüchern. Berlin: B. Behr’s Verlag.
Darin: Zitat [v], S. 135-136.

Eine Einführung zu Fanny Hensel und Italien findet sich ausserdem in:
Fanny Hensel. Briefe aus Venedig und Neapel an ihre Familie in Berlin 1839/40. herausgegeben von Hans-Günter Klein (2004). Wiesbaden: Dr. Ludwig Reichert Verlag, S. 7-11.
Von einer Reise 1822 in die Schweiz stammt das Zitat [vi]: “(Selbst) die fühlbare Nähe Italiens [...] rührte mich unendlich.”, S. 7.

Abbildung aus dem Garten: https://commons.wikimedia.org/wiki/File:Giardini_di_villa_medici,_statua_dea_roma_01.JPG